Wenn unsere Wälder zu Gerippen werden

Die deutsche Forstwirtschaft steht vor einer der größten Katastrophen ihrer Geschichte - und mit ihr das gesamte Land. Ein Kollabieren der ausgedehnten Fichtenreinbestände stürzt viele Betriebe in den finanziellen Ruin. Doch nicht nur Nadelwälder, auch unsere Laubwälder weisen zusehends gravierende Schäden auf. Vieles deutet darauf hin, dass es sich bei diesem Waldsterben um ein Jahrhundert- wenn nicht sogar Jahrtausendereignis handelt. Eines scheint auf jeden Fall festzustehen: Die Landschaft, wie wir sie kannten, gehört der Vergangenheit an.

Doch was führte uns in diese Katastrophe? –Ein gordischer Knoten!

Betrachtet man den Wald, so muss man in anderen zeitlichen Dimensionen denken als beispielsweise in der Politik. Um zu begreifen, wo wir heute stehen, ist es notwendig, einen kleinen Blick zurück zu wagen um kritisch zu reflektieren, was damals geschah. Die „Erfindung“ der Nachhaltigkeit durch die forstlichen Akteure des 18. und 19. Jahrhunderts hatte sehr wenig mit einem damaligen Öko-hype zu tun, sondern viel mehr mit einer monetären Gewinnmaximierung. Über Jahrtausende diente der Wald der Landbevölkerung als unverzichtbarer Quell an Nähr-, Werk- und Brennstoffen, sodass Holz- und Nahrungsmittelproduktion eng miteinander verwoben waren. Es entstanden artenreiche Landschaften, die durch Menschen und Tiere gemeinsam geformt wurden und einen festen Bestandteil der Kultur jener dörflichen Gemeinschaften darstellten. Da Grund und Boden jedoch ein limitierter Faktor sind, geriet der Wald im 18. Jahrhundert zusehends in den Fokus der Staatskasse und frühindustrieller Akteure. Die adelige und bürgerliche Elite hatte damals klare Vorstellungen über den besten Gebrauch der Wälder: Ziel einer jeden Waldwirtschaft sollte eine möglichst gleichbleibend hohe, aus der Nutzholzproduktion zu erzielende, Kapitalrendite werden. Neben einem gezielten Umbau artenreicher Laubwälder in nutzholzproduzierende Fichtenreinbestände erfolgte ebenso eine systematische Vertreibung der „waldschädlichen“ Landbevölkerung aus den Waldungen. Diese Vertreibung hiesiger traditioneller Gemeinden aus ihren seit ältesten Zeiten bewirtschafteten Wäldern wurde nicht selten mit militärischen Mitteln blutig durchgesetzt. Als der Wille der traditionellen Landbevölkerung gebrochen war, die Wälder voller Fichten standen und die freie Landschaft in Rechteck und Quadrat geordnet war, blieb einem Großteil der verhungernden Menschen kaum eine andere Möglichkeit als auszuwandern oder als billige Arbeitskraft in die Zentren der neuen „großen Industrie“ zu ziehen. Was die damalige Forstwissenschaft vorantrieb, hat aus heutiger Sicht nicht viel mit Nachhaltigkeit zu tun - lediglich eine Nachhaltigkeit des Geldertrages sollte gewährleitet werden. Dass jene Fichtenreinbestände, die von den forstlichen Klassikern in den Himmel emporgelobt wurden, fragil sind, ist schon lange bekannt. Spätestens seit dem Kollaps des Ebersberger Forstes durch eine Kombination aus Sturm und Insektenkalamität am Ende des 19. Jahrhunderts wissen wir Forstwissenschaftler, was die Konsequenz jener Monokultur ist. Die Fichte, eigentlich ein Baum der nördlichen Taiga und montaner Lagen, war lange Jahre der bequeme Goldesel. Schließlich wollte „der Markt“ genau diese Baumart haben. Nun bricht dieser Goldesel zusammen. Dass diese Katastrophe nun für alle Beteiligten so überraschend kommt, wundert mich doch stark. Unsere Daten haben seit Jahrzehnten auf diese Gefahren hingewiesen und dennoch wurden bis weit in die 2010er Aufforstungen mit Fichte betrieben. Soviel zur kritischen Selbstreflektion der forstlichen Geschichte.

 

 

 

Doch der zweihundertjährige Anbau von standortfremden Monokulturen ist nur das eine Ende dieses gordischen Knotens. Am anderen Ende steht ein Gewirr, dem wir als Forstwissenschaftler hilflos gegenüberstehen. Die Klimakatstrophe. Auch wenn einige Rattenfänger diese Katastrophe verzweifelt leugnen, da ihre Naturerfahrung am eigenen gut bewachten Gartenzaun aufzuhören scheint, so sind die Auswirkungen in der Natur mittlerweile mehr als deutlich. Nicht nur der Fichte, auch der Buche, der „Mutter des deutschen Waldes“ geht es schlecht. Die Buche, als dominanteste und von Natur aus eigentlich am weitesten verbreitete Baumart Deutschlands, ist perfekt an das gemäßigte feucht-kühle Klima Mitteleuropas angepasst (gewesen). Doch auch andere Laubbaumarten wie Eichen und vor allem Eschen haben massive Probleme. Durch das zweite Dürrejahr in Folge sind unsere Wälder schwer gezeichnet. Ein paar Tage Regenschauer helfen uns da herzlich wenig. Überraschend kommt das Ganze wie gesagt nicht. Wie haben wir uns denn die Klimakatstrophe vorgestellt? Alles bleibt so wie es ist - halt einfach nur ein wenig wärmer!?

 

 

Wir müssen anfangen, die Dinge in ihrem Zusammenhang zu betrachten. Anscheinend waren unsere Vorgänger vor 200 Jahren ein wenig zu erfolgreich damit, das Band zwischen der Bevölkerung und der sie umgebenden Natur mit Waffengewalt zu trennen. Die in die Armut gestürzte Landbevölkerung diente der Industrialisierung als nötiges Humankapital. Beflügelt vom ach so aufgeklärten Gedanken, uns die Welt am Reißbrett untertan zu machen, um die Natur zu „verbessern“ und ihre Nutzung zu intensivieren, ließ unsere Gesellschaft kein Stein auf dem anderen. Wir begradigten die Flüsse, legten unsere Moore trocken, schufen riesige Agrarwüsten – und der Wald durfte da wachsen wo Trecker fahren kein mehr Spaß macht. Und um dem Ganzen noch nachhaltig die Krone aufzusetzen, zogen wir hinaus in die Welt und überbrachten dem Rest der Menschheit unsere wertvollste Errungenschaft: unsere Gier. Wir erklärten die Gier zur „Natur des Menschen“ und beschränkten den Wert einer Sache auf eine Zahl. Schaut man hinaus in die Welt, welches Bild zeigt sich dort? Die Fähigkeit der traditionellen Landbevölkerungen, im Einklang mit der Natur zu leben, ist zerbrochen, die Urwälder werden für Ölpalmen und Viehfutter gefällt, die freie Landschaft wird in Rechteck und Quadrat geordnet und einem Großteil der verhungernden Menschen bleibt kaum eine andere Möglichkeit als auszuwandern oder als billige Arbeitskraft in die Zentren der neuen „großen Industrie“ zu ziehen. Durch unseren massiven CO₂ Ausstoß, durch unseren immensen Landverbrauch für die Massentierhaltung und die damit verbundenen Rückkopplungsprozesse stehen wir nun mit dem Rücken zur Wand. Ohne ein Umdenken im Konsumverhalten eines jeden Einzelnen ist die Rettung unserer Wälder unmöglich. Bei dieser Forderung geht es nicht um Bevormundung, sondern um die Sicherung der wirtschaftlichen und physischen Existenz unserer Gesellschaft.

 

 

Fast jeder scheint zu wissen: „Der Wald ist unser Klimafreund“- Doch nach einem jahrelangen Stellenabbau in der Forstwirtschaft zugunsten einer „Rentabilitätsmaximierung“, stehen unsere engagierten Förster nun vor einer schier gigantischen Herausforderung. Es bedarf enormer Investitionen um das Schlimmste zu verhindern. Ein halbherziges waldbauliches und gesellschaftliches Umdenken wird es nicht schaffen, unsere Wälder zu retten. Wir brauchen ein mehrere Milliarden Euro schweres, flächendeckendes Förderprogramm zur Stabilisierung unserer Wälder, zur Wiedervernässung unserer Moore und zur Eindämmung der Agrarwüsten. Wir brauchen ein engmaschiges bundesweites Netz an Ökosystemen, die durch ihre bioklimatologischen Eigenschaften das Überleben unserer Gesellschaft sichern. Auch ein sofortiger Rodungsstopp für Wälder, die für den Abbau fossiler Ressourcen gefällt werden sollen ist unabdingbar. Diese Unabdingbarkeit betrifft auch eine wirtschaftsunabhängige Nachhaltigkeits-Bildung. Ebenso fordern wir, dass der Schutz unserer natürlichen Existenzgrundlage in das deutsche Grundgesetz aufgenommen wird. Doch so lange mächtige Menschen von einem System profitieren, werden sie es niemals ändern wollen.

 

 

Aber welche Alternative bleibt uns, wenn wir in Zukunft alle zehn Jahre solch eine “Jahrhundertdürre“ erleben? Wenn man die Rauchsäule des brennenden Hochharzes bis nach Hannover und Halle sieht? Wenn alle teuer gepflanzten Bäume einfach wieder vertrocknen. Die Welt wie wir sie kennen ist Geschichte. Das was wir heute erleben ist nur der Anfang.

 

 

Hauke Zirfas (Forstwissenschaftler und Waldökologe)